
Der 11. Dezember 2023: Ein Datum, das für lange Zeit als dunkle Stunde des türkischen Fußballs in Erinnerung bleiben wird. Beim Duell zwischen Ankaragücü und Rizespor, erzielten die Gäste in der Nachspielzeit den Ausgleich zum 1:1. Dieser machte Faruk Koca, den Präsidenten von Ankaragücü, so fuchsteufelswild, dass er aufs Spielfeld rannte und Schiedsrichter Halil Umut Meler niederschlug. Selbst am Boden wurde auf Meler noch so stark eingetreten, dass er anschließend ins Krankenhaus gebracht werden musste. Die Folgen: Koca trat zurück und erhielt eine lebenslange Sperre. Sogar eine Gefängnisstrafe droht ihm heute, drei Haftbefehle wurden insgesamt ausgesprochen. Meler dagegen muss sich derweil unter anderem von einem gebrochenen Jochbein erholen und sagte im Interview mit der türkischen Zeitung Hurriyet, er werde dem Täter niemals verzeihen. . Auch international schlug der Vorfall Wellen, so mahnte zum Beispiel Schiedsrichter-Legende Pierluigi Collina nachdrücklich: „Es liegt in der Verantwortung all derer, die dieses schöne Spiel lieben, etwas zu unternehmen. Bevor es zu spät ist.“ Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan kontaktierte Meler nicht nur im Krankenhaus, sondern äußerte sich auch über X (ehemals Twitter): „Sport bedeutet Frieden und Brüderlichkeit. Sport ist mit Gewalt unvereinbar. Wir werden niemals zulassen, dass es im türkischen Sport zu Gewalt kommt“.
Erneute Respektlosigkeit
Dafür ist es allerdings etwas zu spät. Die Unterbrechung des Spielbetriebs, die der Vorfall zur Folge hatte, ist bloß acht Tage später im Nichts verpufft. Am Dienstagabend empfing Istanbulspor den Ligakonkurrenten Trabzonspor – und wieder gab es Zoff zwischen einem Klubpräsidenten und dem Schiedsrichter. In der 68. Minute ging ein Istanbulspor-Spieler beim Stand von 1:1 im Strafraum Trabzonspors zu Boden, der Pfiff von Schiedsrichter Ali Sansalan blieb aber aus – und das nach Sichtung der TV-Bilder vermutlich auch zu Recht. Als die Gäste aus Trabzonspor im direkten Gegenzug die Führung erzielten und der VAR diese wiederum nicht zurücknahm, platzte Istanbulspor-Boss Ecmel Faik Sarialioglu die Hutschnur. Er eilte an die Seitenlinie und signalisierte seinen Spielern mit wedelnden Armen, dass sie vom Platz kommen sollten. Kapitän Simon Deli versuchte noch zu beschwichtigen und seinen Präsidenten umzustimmen – vergebens. In der 74. Minute verließ die Mannschaft geschlossen den Platz und machte so den Schiedsrichter einmal mehr zur Zielscheibe für Hass und Diffamierungen. Auch der Schweizer Coach Hakan Yakin zeigte sich perplex: „Als Trainer bist du machtlos, wenn der Präsident ankommt. Ich hätte lieber weitergespielt, die Spieler auch.“ Nun muss die Liga entscheiden, wie die Partie gewertet wird – und wie sie mit der Lage umgehen möchte. Zwei einschneidende Vorfälle innerhalb einer Woche werfen die Frage auf: Wie bloß konnte es so weit kommen?
Eine traurige Tradition
Eine Spur führt zum derzeitigen Präsidenten des türkischen Fußball-Verbands (TFF): Mehmet Büyükekşi. Erst seit Mai 2022 ist der 62-Jährige im Amt, fiel in diesem Zeitraum jedoch bereits mehrfach durch verbale Attacken und scharfe öffentliche Kritik gegenüber Schiedsrichtern auf. So verbreitete sich in den vergangenen Tagen rasch die These, dass dieser Umgang mit den Unparteiischen vom ranghöchsten türkischen Fußballfunktionär Tür und Tor für die jüngsten Geschehnisse geöffnet haben könnte. Aus diesem Grund soll laut dem türkischen Journalisten Hakan Gündogar der Verband den Präsidenten zum Rücktritt gedrängt haben. Im Gespräch mit dem türkischen Journalisten Candaş Tolga Işık blieb Büyükekşi jedoch stur und dementierte die Meldungen: „Diese Aussagen sind inhaltlos und entbehren jedweden Beweises. Ich bleibe im Amt!“ Allerdings: Ob das in Zukunft überhaupt in seiner Hand liegen wird, ist wohl fraglich. Dafür hat die Debatte um seine Person vermutlich bereits zu schnell Fahrt aufgenommen.
Dennoch: Wer behauptet, die aktuelle Skandalwelle wäre ausschließlich auf Büyükekşi zurückzuführen, macht es sich wahrscheinlich zu leicht. Gewalt im türkischen Fußball hat traurigerweise Tradition: 2013 wurde ein 19-jähriger Fan von Fenerbahce Istanbul nach dem Derby gegen Galatasaray erstochen, 2022 stürmten Anhänger von Trabzonspor den Platz und schlugen auf Spieler von Antalyaspor ein. Rudelbildungen zwischen den Teams gehören ebenso zum Alltag wie das Werfen gefährlicher Gegenstände von den Tribünen oder die öffentliche Verschmähung der Unparteiischen. Murat Fevzi Tanırlı, ein ehemaliger türkischer Profi-Schiedsrichter, der heute Sportkolumnist und ‑kommentator ist, sagte gegenüber CNN: „Die Türkei ist unvergleichlich schlechter, was den Respekt vor Schiedsrichtern in der Welt angeht.“ Und der Verband? Hat nun härteres Durchgreifen und schwerwiegendere Strafen für den schlechten Umgang mit Schiedsrichtern angekündigt. Wie diese Maßnahmen jedoch konkret aussehen sollen, soll erst in den kommenden Wochen entschieden werden.
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