Eskalation mit Ansage 11FREUNDE

November 2024 · 4 minute read

Der 11. Dezember 2023: Ein Datum, das für lange Zeit als dunkle Stunde des tür­ki­schen Fuß­balls in Erin­ne­rung bleiben wird. Beim Duell zwi­schen Anka­ra­gücü und Rize­spor, erzielten die Gäste in der Nach­spiel­zeit den Aus­gleich zum 1:1. Dieser machte Faruk Koca, den Prä­si­denten von Anka­ra­gücü, so fuchs­teu­fels­wild, dass er aufs Spiel­feld rannte und Schieds­richter Halil Umut Meler nie­der­schlug. Selbst am Boden wurde auf Meler noch so stark ein­ge­treten, dass er anschlie­ßend ins Kran­ken­haus gebracht werden musste. Die Folgen: Koca trat zurück und erhielt eine lebens­lange Sperre. Sogar eine Gefäng­nis­strafe droht ihm heute, drei Haft­be­fehle wurden ins­ge­samt aus­ge­spro­chen. Meler dagegen muss sich der­weil unter anderem von einem gebro­chenen Joch­bein erholen und sagte im Inter­view mit der tür­ki­schen Zei­tung Hur­riyet, er werde dem Täter nie­mals ver­zeihen. . Auch inter­na­tional schlug der Vor­fall Wellen, so mahnte zum Bei­spiel Schieds­richter-Legende Pier­luigi Col­lina nach­drück­lich: Es liegt in der Ver­ant­wor­tung all derer, die dieses schöne Spiel lieben, etwas zu unter­nehmen. Bevor es zu spät ist.“ Der tür­ki­sche Staats­prä­si­dent Recep Tayyip Erdogan kon­tak­tierte Meler nicht nur im Kran­ken­haus, son­dern äußerte sich auch über X (ehe­mals Twitter): Sport bedeutet Frieden und Brü­der­lich­keit. Sport ist mit Gewalt unver­einbar. Wir werden nie­mals zulassen, dass es im tür­ki­schen Sport zu Gewalt kommt“.

Erneute Respekt­lo­sig­keit

Dafür ist es aller­dings etwas zu spät. Die Unter­bre­chung des Spiel­be­triebs, die der Vor­fall zur Folge hatte, ist bloß acht Tage später im Nichts ver­pufft. Am Diens­tag­abend emp­fing Istan­bul­spor den Liga­kon­kur­renten Trab­zon­spor – und wieder gab es Zoff zwi­schen einem Klub­prä­si­denten und dem Schieds­richter. In der 68. Minute ging ein Istan­bul­spor-Spieler beim Stand von 1:1 im Straf­raum Trab­zon­spors zu Boden, der Pfiff von Schieds­richter Ali San­salan blieb aber aus – und das nach Sich­tung der TV-Bilder ver­mut­lich auch zu Recht. Als die Gäste aus Trab­zon­spor im direkten Gegenzug die Füh­rung erzielten und der VAR diese wie­derum nicht zurück­nahm, platzte Istan­bul­spor-Boss Ecmel Faik Saria­li­oglu die Hut­schnur. Er eilte an die Sei­ten­linie und signa­li­sierte seinen Spie­lern mit wedelnden Armen, dass sie vom Platz kommen sollten. Kapitän Simon Deli ver­suchte noch zu beschwich­tigen und seinen Prä­si­denten umzu­stimmen – ver­ge­bens. In der 74. Minute ver­ließ die Mann­schaft geschlossen den Platz und machte so den Schieds­richter einmal mehr zur Ziel­scheibe für Hass und Dif­fa­mie­rungen. Auch der Schweizer Coach Hakan Yakin zeigte sich per­plex: Als Trainer bist du machtlos, wenn der Prä­si­dent ankommt. Ich hätte lieber wei­ter­ge­spielt, die Spieler auch.“ Nun muss die Liga ent­scheiden, wie die Partie gewertet wird – und wie sie mit der Lage umgehen möchte. Zwei ein­schnei­dende Vor­fälle inner­halb einer Woche werfen die Frage auf: Wie bloß konnte es so weit kommen?

Eine trau­rige Tra­di­tion

Eine Spur führt zum der­zei­tigen Prä­si­denten des tür­ki­schen Fuß­ball-Ver­bands (TFF): Mehmet Büyü­kekşi. Erst seit Mai 2022 ist der 62-Jäh­rige im Amt, fiel in diesem Zeit­raum jedoch bereits mehr­fach durch ver­bale Atta­cken und scharfe öffent­liche Kritik gegen­über Schieds­rich­tern auf. So ver­brei­tete sich in den ver­gan­genen Tagen rasch die These, dass dieser Umgang mit den Unpar­tei­ischen vom rang­höchsten tür­ki­schen Fuß­ball­funk­tionär Tür und Tor für die jüngsten Gescheh­nisse geöffnet haben könnte. Aus diesem Grund soll laut dem tür­ki­schen Jour­na­listen Hakan Gün­dogar der Ver­band den Prä­si­denten zum Rück­tritt gedrängt haben. Im Gespräch mit dem tür­ki­schen Jour­na­listen Candaş Tolga Işık blieb Büyü­kekşi jedoch stur und demen­tierte die Mel­dungen: Diese Aus­sagen sind inhaltlos und ent­behren jed­weden Beweises. Ich bleibe im Amt!“ Aller­dings: Ob das in Zukunft über­haupt in seiner Hand liegen wird, ist wohl frag­lich. Dafür hat die Debatte um seine Person ver­mut­lich bereits zu schnell Fahrt auf­ge­nommen.

Den­noch: Wer behauptet, die aktu­elle Skan­dal­welle wäre aus­schließ­lich auf Büyü­kekşi zurück­zu­führen, macht es sich wahr­schein­lich zu leicht. Gewalt im tür­ki­schen Fuß­ball hat trau­ri­ger­weise Tra­di­tion: 2013 wurde ein 19-jäh­riger Fan von Fener­bahce Istanbul nach dem Derby gegen Gala­ta­saray ersto­chen, 2022 stürmten Anhänger von Trab­zon­spor den Platz und schlugen auf Spieler von Anta­ly­aspor ein. Rudel­bil­dungen zwi­schen den Teams gehören ebenso zum Alltag wie das Werfen gefähr­li­cher Gegen­stände von den Tri­bünen oder die öffent­liche Ver­schmä­hung der Unpar­tei­ischen. Murat Fevzi Tanırlı, ein ehe­ma­liger tür­ki­scher Profi-Schieds­richter, der heute Sport­ko­lum­nist und ‑kom­men­tator ist, sagte gegen­über CNN: Die Türkei ist unver­gleich­lich schlechter, was den Respekt vor Schieds­rich­tern in der Welt angeht.“ Und der Ver­band? Hat nun här­teres Durch­greifen und schwer­wie­gen­dere Strafen für den schlechten Umgang mit Schieds­rich­tern ange­kün­digt. Wie diese Maß­nahmen jedoch kon­kret aus­sehen sollen, soll erst in den kom­menden Wochen ent­schieden werden.

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