Anarchy in the UK 11FREUNDE

November 2024 · 3 minute read

Es heißt oft, in bri­ti­schen Sta­dien sei keine Stim­mung mehr. Die teuren Ein­tritts­preise hätten die echten Fans in die Pubs und auf die Sofas ver­trieben, und auf den geputzten Tri­bünen klatschten nun Kunden und gut betuchte Tou­risten im Takt. Aber auch nur, wenn irgend­je­mand etwas echt Spek­ta­ku­läres macht. Fall­rück­zieher von der Straf­raum­kante oder Elf­meter mit der Hacke. Ansonsten herrscht die totale Lan­ge­weile. Auch weil so ziem­lich alles ver­boten ist: Stehen, Bier­trinken, Rau­chen, Pöbeln. Bei Spielen in Arse­nals Emi­rates-Sta­dium war es in den ver­gan­genen Jahren oft so leise, als würden die Leute einer Oper lau­schen.

So geht die eine Erzäh­lung. Und ich will nicht behaupten, dass sie kom­plett falsch ist. Aber wenn man über bri­ti­sche Fan­kultur spricht, darf man eben nicht nur die Pre­mier League betrachten, diesen größten kapi­ta­lis­ti­schen Aus­wuchs des modernen Fuß­balls. In den unteren Ligen ist die Stim­mung näm­lich oft blen­dend, und zudem ganz anders, als wir es aus Deutsch­land kennen. Keine Capos, die ober­kör­per­frei in Mega­fone krächzen. Keine mono­tonen Dau­er­ge­sänge bei 0:3‑Rückstand. Keine ewiges Fah­nen­ge­schwenke. Dafür herr­lich situa­tiver Sup­port, iro­nisch, anar­chisch, manchmal aso­zial, aber oft auch smart.

Zu den Heim­spielen von Dul­wich Hamlet (6. Liga), Clapton FC (9. Liga), Whi­te­hawk FC (8. Liga) oder East­bourne Town (10. Liga) kommen oft mehr Fans als zu einigen deut­schen Zweit- oder Dritt­li­gisten. Und auch in Wales oder Schott­land finden sich unter­klas­sige Ver­eine, die echte Zuschau­er­ma­gnete sind.

Pures Gold für eine Fuß­ball­serie

Ende Mai war ich in Wrexham, nörd­li­ches Wales. Der dor­tige Fuß­ball­klub, AFC Wrexham, spielte früher mal im Pro­fi­fuß­ball, im FA Cup schlug er Anfang der Neun­ziger den FC Arsenal, davon erzählen sie heute noch in der Stadt. Seit 2008 hängt der Klub aber in der fünft­klas­sigen National League fest.

Inter­na­tional bekannt wurde der AFC Wrexham vor ein­ein­halb Jahren, als die Hol­ly­wood­schau­spieler Ryan Rey­nolds und Rob McEl­henney den Verein kauften und auf Vor­der­mann brachten. Mit ihrem Ein­stieg in Wrexham begannen auch die Dreh­ar­beiten zu einer Doku-Serie im Stile von Sun­der­land til I die“. Sie heißt Wel­come to Wrexham“ und wird dem­nächst auf Disney+ zu sehen sein. Die Story über diese kuriose und bri­sante Über­nahme könnt ihr hier lesen.

Jeden­falls, das erste Jahr war pures Gold für alle Betei­ligten, vor allem das Sai­son­ende ver­lief so dra­ma­tisch, als hätten Rey­nolds und McEl­henney es sich tat­säch­lich in einem Dreh­buch aus­ge­dacht. Wrexham kämpfte sich in der FA-Trophy, einem Pokal­wett­be­werb für unter­klas­sige Klubs, ins Finale. Dort verlor das Team vor 50.000 Zuschauern im Wem­bley­sta­dion 0:1 gegen Bromley.

Gleich­zeitig kämpfte die Mann­schaft in der Liga um den direkten Auf­stieg, den sie aller­dings knapp ver­passte. Sie schloss die Liga auf Platz zwei ab und musste am 28. Mai zu einem Play-off-Spiel gegen den Fünft­plat­zierten Grimsby Town antreten. Kein lei­diges Hin- und Rück­spiel, son­dern nur ein Spiel – und zwar ein Heim­spiel am Race­course Ground. Was sollte schief­gehen?

Erwartet hatte ich tak­ti­sche 90 Minuten. Viel Defen­sive, wenig Zauber, am Ende ein Elf­meter zum 1:0. Aber dann begann eines der wahn­sin­nigsten Fuß­ball­spiele, das ich je live in einem Sta­dion gesehen habe. Es war, als spielten die Mann­schaften Hand­ball. Mit dem Fuß. Und in dop­pelter Geschwin­dig­keit. Die Teams, so sah es aus, ver­zich­teten auf ein Mit­tel­feld, das Spiel raste auf und ab, von Straf­raum zu Straf­raum, keine Quer­pässe, keine Atem­pause.

Nach 13 Minuten schoss Wrexham das 1:0, Grimsby glich zwei Minuten später aus. Nach 45 Minuten hätte es 17:17 stehen können, aber auch die Tor­hüter waren ganz gut drauf. In der zweiten Halb­zeit ging der echte Wahn­sinn los. Grimsby traf zum 1:2, Wrexham drehte das Ergebnis nach einer guten Stunde mit einem Dop­pel­pack, 3:2. In der 72. und 78. Minute machte auch Grimsby zwei Tore in Folge, 3:4. In der 80. Minute schließ­lich der Aus­gleich zum 4:4. Ver­län­ge­rung.

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